Hast du heute schon jemanden umarmt?
Als der Himmel erschaffen wurde und die Erde,
als die Pflanzen erschaffen wurden und die Tiere,
als die Menschen erschaffen wurden,
entstand auch die Sprache der Umarmungen.
In dieser Sprache unterscheidet sich eine Umarmung von der anderen.
Und so, wie man eine Pflanze leicht von der anderen unterscheiden kann,
jedes Tier vom anderen, jeden Menschen vom anderen,
kann man auch eine Umarmung von der anderen unterscheiden.
Die Umarmung von Blume und Schmetterling ist süßer als der süßeste Nektar,
aber nur kurz und flüchtig.
Die Blume hält still und erwartet den Schmetterling.
Der Schmetterling flattert über die Blume,
berührt zart ihre Blütenblätter.
Dann fliegt er seiner Wege.
Eine einzige Blume reicht ihm nicht.
Sein Leben ist kurz und es gibt so viele Blumen.
Die Umarmung von Baum und Vogel ist so lieblich wie der lieblichste Gesang.
Was für ein Lied singt der Vogel für den Baum?
Was flüstert er seinem Wipfel zu?
Wenn der Abend kommt umarmt der Baum den Vogel weich und warm,
damit er in der kalten Luft nicht erfriert.
Wenn die Sonne aufgeht, breitet der Vogel seine Flügel aus,
fliegt glücklich in die Arme des Himmels,
und nimmt die Umarmung mit wie einen lieben Gruß.
Der Berg umarmt den Stein.
Der Fluss umarmt den Fisch.
Die Wolke umarmt den Regenbogen.
Deshalb fällt der Stein nicht und der Fisch trocknet nicht aus
und der Regenbogen verzaubert die Welt in den Farben von Milch und Honig.
Und alle, die sich unter dem Dach des Himmels umarmen,
sehen den Glanz der Sterne, die, zärtlich und wachsam,
das Glück der Liebenden bewachen.
Die Umarmung von Vater und Mutter,
von Mann und Frau,
ist etwas ganz besonders:
Es ist die Umarmung in Liebe.
Als der Himmel erschaffen wurde und die Erde,
als die Pflanzen erschaffen wurden und die Tiere,
als die Menschen erschaffen wurden,
entstand auch die Sprache der Umarmungen.
Ihr Zeichen ist die Liebe.
Wer je geliebt hat und wer liebt,
weiß, dass Liebe Freude ist,
aber sie trägt auch Schmerz in sich,
denn zum Umarmen gehören immer zwei.
Wen soll der Baum umarmen,
wenn er nicht den Vogel hat?
Wen soll der Berg umarmen,
wenn er nicht den Stein hat?
Wen soll der Fluss umarmen,
wenn er nicht den Fisch hat?
Wir Menschen haben eine besonders reiche Sprache der Umarmungen.
Es gibt Menschen, die sich innig umarmen,
und andere, die sich nur zart mit den Fingerspitzen berühren.
Und wieder andere umarmen sich von weitem mit den Augen,
und du kannst ihre Umarmung kaum erkennen.
Es gibt Umarmungen,
die den Himmel berühren,
und Umarmungen,
bei denen spielen die Hände verrückt.
Es gibt lachende Umarmungen und ermutigende,
Umarmungen gegen die Einsamkeit oder Umarmungen aus Freude.
Und wieder andere Umarmungen aus Angst,
die uns nicht gehen lassen wollen.
Licht berührt die Dunkelheit,
die Dunkelheit sucht das Licht:
Gegensätze, die sich umarmen.
Eine versöhnende Umarmung nach einem Streit ist zart, nie verletzend.
Eine sanfte Umarmung vor dem Schlafengehen.
Eine Umarmung beim Tanzen.
Eine Umarmung in einer Umarmung.
Und plötzlich eine Umarmung,
wenn man sich trennen muss.
Eine herzliche Umarmung, wenn man sich wieder sieht,
und eine besondere Umarmung beim Abschiednehmen.
Und dann gibt es noch die längst vergessene Umarmung,
die voller Sehnsucht,
die im Innersten des Herzens.
Diese Umarmung bleibt unvergessen.
Die Sprache der Umarmungen ist eine Sprache ohne Worte.
In ihr hat jede Umarmung eine Bedeutung.
Was wir am meisten wünschen,
ist die Umarmung, die nie endet
.
von Michal Snunit