4 Jahre ohne Dich
Ein schwieriger Weg liegt hinter uns, aber auch vor uns. Wir sind müde und sehnen uns nach einem leichteren Leben, einem Leben, das nicht mehr unsere letzten Kräfte fordert.
Ich bin stolz darauf, dass wir Drei, die letzten 4 Jahre so bewältigt haben, dass wir nicht untergegangen sind.
Wir bedanken uns für und bei den Freunden, die uns durch die letzten 4 Jahre begleitet haben. Wir freuen uns über jeden, der Jessica nicht vergessen hat. Wir sind dankbar für jedes kleine Geschenk, dass Jessica noch immer bekommt. Ganz besonders dankbar sind wir für ein ganz besonderes Geschenk von Saskia an ihre Freundin Jessica. Wir danken Dir, Saskia, für dieses wundervolle Lied:
Engel lügen nicht
Es fehlt einer
Wir wären eigentlich vier,
und sind doch nur drei,
denn es fehlt einer und doch fehlt keiner,
denn einer ist immer dabei.
Wir wären eigentlich vier,
vier Menschen, eine Familie,
die durchs Leben gingen,
vier, die gemeinsam Freud und Leid teilten,
vier, die zusammen lachten
und Geheimnisse hatten,
vier waren´s die oft Späße machten,
aber wir sind nur drei,
denn es fehlt einer und dennoch fehlt keiner,
denn einer ist immer dabei.
Dabei, wo drei gehen und singen,
dabei wo drei lachen und Späße machen.
In Wirklichkeit kann uns niemand trennen.
Auch wenn es so aussieht,
als wär`n wir nur drei….,
denn einer ist immer dabei.
(Hannelore Rohrmoser)
Ich bin froh, dass ich die Trauer nicht verdrängt habe und alle Tiefen durchlebt habe und immer noch durchlebe. Sie hat mich oft umgeworfen, aber sie hat mich auch stark gemacht.
Auch Tränen sind für mich ein Zeichen von Stärke, aber ich zeige sie nur noch ganz wenigen Menschen und das sind die, die sie auch ertragen können.
Jede Träne ist ein Kristall und Diamant für dich. Jede Träne ist ein Zeichen meiner Liebe zu dir und ich schenke dir diese Kristalle und Diamanten der Liebe.
(aus dem Buch: Damit aus meiner Trauer Liebe wird von Roland Kachler)
Nun habe ich zwei neue Lebensaufgaben: Das Leben weiter leben und mich selbst immer wieder neu finden. Ich muss noch immer lernen, das Neue, das Unbekannte anzunehmen, bis es mir vertraut wird, doch hierbei komme ich dann auch wiederholt an meine Grenzen, denn dieses Leben ist so wahnsinnig schwer und ich am Ende meiner Kräfte.
Ich denke nicht mehr viel über die Zukunft nach, denn ich weiß, dass ich nur im Heute leben kann. Mein Ziel bist Du, mein Weg zu Dir, der Tag, an dem ich Dich endlich wieder in meine Arme nehmen darf. Aber ich habe auch hier noch meine Aufgabe, die ich so gut ich es kann erfüllen möchte. Meine größte Aufgabe ist es, Deinen Bruder in sein eigenes Leben zu begleiten. Vielleicht darf ich eines Tages seine Kinder erleben.
Ich wünsche mir, dass ich es schaffe, andere betroffene Eltern ein kleines Stück auf ihrem so unendlich schweren Weg zu begleiten, ihnen etwas von meinen Erfahrungen weitergeben zu können, so wie mir damals andere Eltern weitergeholfen haben. Unsere Selbsthilfegruppe wächst und wird immer größer. Musste ich erst selber das Leid erleben, um die Augen für das Leid anderer Menschen geöffnet zu bekommen? Kann man sich nur dann in die Gefühle anderer hineinversetzen?
Oft hatte ich das Gefühl, dass ich mich im Kreis drehe, der in einer Spirale endet. Mit der Entfernung komme ich doch wieder zu bestimmten Punkten. Ich treffe auf alte Wunden – mit Entfernung. Ich glaube, ich werde sie immer wieder treffen, mal mehr , mal weniger schmerzlich.
Auch habe ich gelernt, dass Trauer am rücksichtslosesten zuschlägt, wenn ich körperlich und emotional erschöpft bin. Dann habe ich auch jetzt noch das Gefühl zu ertrinken und zu weit vom Land entfernt zu sein, um irgend jemand oder irgend etwas zu erreichen, wenn nicht jemand nach mir greift. Ich fühle mich dann wie gelähmt.
Geärgert habe ich mich schon oft über mich selber, wenn mich Kleinigkeiten umgeworfen haben. Wie kann mich so etwas umwerfen, wenn ich nach dem Tod von Jessica immer noch lebe? Es ist dann meistens nur der Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt und auch meine Trauer wieder an die Oberfläche kommen lässt. Ich muss nur lernen, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Unser Liebstes
Jahreszeit des Lichts,
Jahreszeit der Liebe und des Friedens
Jahreszeit des Schattens,
Jahreszeit der Erinnerungen,
Jahreszeit der Wärme und Freude,
Jahreszeit heimlicher Tränen.
Gib uns Mut, wieder zu lachen.
Gib uns die Vision, wieder zu hoffen.
Gib uns die Kraft, wieder zu lieben
Für alle neuen Jahreszeiten
Und alle kommenden Jahre
(Sascha Wagner)
Der Alltag läuft wieder „normal“ und doch ist alles anders. Nichts, aber auch gar nichts mehr ist, so wie es einmal war. Die Trauer, auch wenn sie milder geworden ist, ist mein ständiger Begleiter geworden. Ich hatte die Entscheidung, ob sie mein „Freund“ oder mein Feind wird. Als Freund konnte ich lernen, mit ihr zu leben, als Feind hätte ich sie ständig bekämpfen müssen. Der Kampf gegen meine Trauer und somit auch gegen mein neues Leben hätte mich zuviel Energie gekostet. Energie, die ich für anderes nötiger brauche.
Ich lerne, das Gute in meinem Leben zu sehen, auch in den Menschen, die mich mit blöden Kommentaren verletzen. Ich möchte nicht glauben, dass sie es absichtlich machen. Ich möchte nicht bitter darüber werden. Ich habe es geschafft, im Verbliebenen noch einen Sinn zu sehen.
Das Wichtigste, was ich lernen musste, war die neue Beziehung zu Dir. Ich habe Dich nicht verloren, nur körperlich darf ich Dich nicht mehr spüren, Dich nicht umarmen, Dein Lachen nicht mehr hören, Deine Zukunft an unserer Seite nicht mehr erleben. Du bist in mir und lebst weiter mit mir. So wie Du 9 Monate in mir wachsen durftest, so bist Du nun in mein Innerstes zurückgekehrt. Ich trage Dich fest in meinem Herzen und meiner Seele.
Die Liebe trägt uns – dich und mich
Die Liebe verbindet uns – dich und mich
Die Liebe bewahrt uns – dich und mich
(Autor unbekannt)
Mein Wesen ist ein anderes geworden. So lange habe ich neben mir gestanden, jetzt wird es Zeit, dass ich wieder zu mir stehe, jedoch kann ich nicht da einfach weitermachen, wo das Leben von Dir aufgehört hat.
Nicht nur die Zeit hat doch irgendwie alles verändern lassen. Ich habe an allem gezweifelt, ich habe gekämpft, ich habe verzweifelt geweint, ich habe mich beruhigt und den Schmerz um Deinen Verlust angenommen. Sie werden zu mir gehören mein Leben lang, so wie auch diese einzigartige Liebe zu Dir zu mir gehört, so wie auch Deine Liebe immer bei mir sein wird. Ich war so tief gefallen, wie es eigentlich nicht tiefer geht und wurde aufgefangen. Seitdem fühle ich mich getragen und behütet. Es ist etwas über mir, das mich beschützt.
Dafür bin ich dankbar
Als du starbst
Glaubte ich, dir folgen zu müssen,
heute steh ich wieder auf eigenen Füßen.
Dafür bin ich dankbar.
Angst schien mir oft den Atem zu verschlagen,
heut kann ich den Blick in die Zukunft wieder wagen.
Dafür bin ich dankbar.
Es scheint mir oft nicht viel besser zu gehen,
doch lerne ich die Trauer
besser zu verstehen.
Dafür bin ich dankbar.
Die Sehnsucht
Quält mich noch an vielen Tagen,
doch ist der Schmerz nun besser zu ertragen.
Dafür bin ich dankbar.
Fotos von dir kann ich keine mehr knipsen,
doch Bilder
begannen sich in mein Herz zu ritzen.
Dafür bin ich dankbar.
Dein ansteckendes Lachen ist verklungen,
doch es bleiben wertvolle Erinnerungen.
Dafür bin ich dankbar.
Was ich immer ich Neues anpacke im Leben,
du Jessica
scheinst ihm einen anderen Wert zu geben.
Dafür bin ich dankbar.
Dir meiner Tochter
Treu zu bleiben in Gedanken
Heißt nicht, an meiner Trauer zu erkranken.
Dafür bin ich dankbar.
Zu heilen,
heißt nicht von dir Abschied zu nehmen,
zu heilen heißt,
zusammen mit dir meinen Weg zu gehen.
Dafür bin ich dankbar.
(Vreni Lehner)
Es ist nicht mehr die Heftigkeit, die mich zu Boden schleudert. Nicht mehr der Kampf, der alles nur noch schlimmer macht. Ich wünsche mir, dass eine „gewisse Normalität“ in die Trauer einkehrt, die mich nicht immer wieder den Boden unter Füssen verlieren lässt und mich am Leben hindert und doch…
… es ist nicht recht, das du sterben musstest und ich noch leben darf. Manchmal fühle ich mich dafür in deiner Schuld. Meine Liebe will, dass du lebst. Und doch soll dein Weg ein anderer sein. Ich kann mich nicht an deine Stelle setzen, sondern muss in meinem Leben bleiben. Ich weiss, dass du mir mein Leben gönnst und deshalb nehme ich es ganz bewusst wieder an, lebe noch eine Weile und dann komme ich auch.
(nach Bert Hellinger, Ordnungen der Liebe)
Ein ganz großes Thema für mich was dieses Jahr das „Loslassen“. Damit meine ich nicht, dass ich die wohlgemeinten Ratschläge derer annehme, von denen man zu hören bekommt:
Du musst endlich loslassen, dann geht es Dir auch wieder besser.
Ich werde fallen wenn ich los lasse !!!
Wen oder was soll ich denn loslassen ?? Jessica, die ich gar nicht mehr festhalten kann !? Die Erinnerungen an sie ??
Heute weiß ich, sie hatten Recht damit, dass ich loslassen muss. Ich musste loslassen und muss immer noch loslassen; aber ich muss nicht meinen Halt und schon gar nicht meine Liebe zu Dir Jessica loslassen; ich muss mein altes Leben loslassen. Mein Leben mit Dir, mein Leben mit Jessica an der Hand. Ich musste und muss lernen mein neues Leben zu leben. Mein Leben ohne Dich und doch mit Dir. Das was früher einmal war gibt es heute nicht mehr; mich gibt es so wie früher nicht mehr.
Für mich hat dies eine ganz eigene Bedeutung. Ich musste meine ganz tiefe Trauer loslassen, die mich gehindert hat, nach vorn zu schauen. Ich hatte Angst, dass Du Dich damit noch weiter von mir entfernst, ich musste erst lernen, dass Du auch bei mir bist, wenn ich wieder lache. Das Lachen ist nicht das Ende meiner Tränen, aber ich brauche es so dringend, um Kraft daraus zu schöpfen und auch mal eine Ruhepause von tiefster Trauer zu haben. Für andere erscheine ich dadurch vielleicht auch einfach nur launisch, doch Trauern bedeutet ein Leben lang auf einer seelischen Achterbahn zu fahren.
Loslassen heißt auch nicht, aufhören zu lieben, dass wir uns nicht erinnern, uns sehnen und weinen. Es bedeutet auch für mich, dass mein Leben eine ganz neue Bedeutung bekommen hat. Der wunderschöne Lebensabschnitt, den wir mit Jessica geteilt haben, wird immer ein großer Teil meines Lebens bleiben. Ich trage all diese wunderbaren Erinnerungen wie meinen wertvollsten Schatz mit in die Zukunft. Ich trage diesen Schatz, wohn ich auch gehe und all dies bleibt mein unverlierbarer Besitz in diesem neuen Leben, dass ich gezwungen war, zu beginnen.
Auch meine ich mit loslassen die familiäre Situation. Mehr als 3 Jahre habe ich um Verständnis gekämpft, habe immer wieder versucht, mich zu erklären, ohne dass sich etwas geändert hat. Es bedeutet nicht, dass mir nun alles gleichgültig ist, aber ich muss mich auf das Mögliche konzentrieren, was vor allem heißt, auf mich selber Acht zu geben, um nicht dauernd unter dieser Situation zu leiden. Ich kann niemanden ändern, aber ich muss akzeptieren, dass unsere Wege so weit auseinander gegangen sind, dass man sich allenfalls noch über oberflächliche und belanglose Themen unterhalten kann.
In einem Buch habe ich gelesen, dass auch die Menschen, die Trauernde begleiten, sich in gewissem Umfang verändern müssen, wenn sie mit den Trauernden verbunden bleiben wollen. Viele meinen, wenn sie die Angelegenheiten ignorierten, könnten sie alles vom Tisch wischen, als wäre dieses alles niemals passiert. Dabei bedeutet es für mich immer einen kleinen Trost, wenn die Menschen anerkennen, dass es Jessica gab und für uns immer noch gibt und dass ihr irdisches Leben, so kurz es auch war, einen Sinn hatte. Das Schweigen darüber ist am schwersten für mich zu ertragen. Was wir so dringend brauchten, sind ganz einfache Worte der Zuneigung und Menschen, die nicht das Thema wechseln, wenn wir über unser Leben sprechen, über unsere Gefühle, unsere ergreifendsten Erfahrungen. Doch wenn man dann merkt, dass dies gar nicht beim Gegenüber ankommt, zieht man sich nur noch mehr zurück, denn es ist so anstrengend in Gesellschaft anderer vorgeben zu müssen, dass alles in bester Ordnung ist und wir uns bemühen müssen, Jessicas Verlust nicht zu erwähnen. Nicht Worte sind das was zählt, sondern oft nur das Zuhören, die Liebe und einfach das Dasein, denn es gibt nicht immer Worte oder Antworten.
So wie eine einfache Erkältung, die ein Gesunder gut verkraftet, aber einen von schwerer Krankheit Genesenden um Wochen zurückwirft, so brachten mich Enttäuschungen und Verletzungen schnell in ein seelisches Tief. Es ist für mich immer noch unerträglich, mit kalten, nicht mitfühlenden Menschen zusammen zu sein.
Was für mich außerdem sehr schwer zu verstehen ist, dass ist, dass Dein Tod seinen Schrecken verloren hat. Es ist kein Thema mehr. Kaum noch jemand spricht von Dir.
Auch dieses Jahr haben sich wieder „Freunde“ von uns verabschiedet, die es müde waren, sich bei uns zu melden. Liegt es an uns, weil wir auch in Jahr vier nicht mehr zu denen geworden sind, die wir früher einmal waren, sind wir zu anstrengend, zu anspruchsvoll ? Ich möchte mich nicht verbiegen. Ich möchte zu mir selber stehen. Ich möchte nicht für etwas geliebt werden, was ich gar nicht bin.
Dein Tod wird für uns niemals seinen Schrecken verlieren. Wir haben damit auch unser altes Leben verloren und werden es auch in Zukunft nicht wieder finden.
Ich denke, dass Menschen, die nie einen tiefen Verlust erlitten haben, kennen Trauer nur so, wie man einen Feind auf der Straße erkennt und instinktiv weiß, dass man davonlaufen muss.
Wir sind immer noch dankbar, dass wir Menschen an unserer Seite haben, die die gleiche Sprache sprechen wie wir. Dankbar sind wir auch für unsere Freunde, die es schaffen uns immer wieder zu zeigen, dass wir noch dazugehören, dass wir trotzdem noch liebenswert sind, auch wenn wir uns so sehr verändert haben. Sie sind für uns ein Stützpfeiler und ein Ruhepunkt und zeigen uns durch ihre kleinen Aufmerksamkeiten immer wieder ihre Herzlichkeit und ihr Mitgefühl.
Wie gut tut es, Erinnerungen über Dich auszutauschen. Oftmals verfolgt mich die Angst, dass ich mit den kommenden Jahren immer mehr von Dir vergesse, dass ich unbedingt in meiner Erinnerung behalten möchte. Sei es ein bestimmter Ausdruck, eine Gewohnheit, eine Verhaltensweise, etwas, was Du sagtest, oder wie Du es sagtest, Dein von Herzen kommendes Lachen. Je krampfhafter ich versuche, mich zu erinnern, desto mehr erdrücke ich die Erinnerungen. Ich weiß, sie sind auf einmal wieder da, in Momenten, wo ich gar nicht damit gerechnet habe.
Dankbar bin ich aber auch vor allen Dingen Dir meine liebe Maus, dass Du mir immer wieder kleine Zeichen schickst. Ich erzähle nicht mehr vielen Menschen davon, aber wie sagte eine Nonne im Sommer zu mir: Es ist doch egal, ob man für verrückt gehalten wird, wir wissen, dass es diese Zeichen gibt.
So oft spüre ich Deine Nähe, die Liebe ausstrahlt und meine Seele berührt. Ich danke Dir von ganzem Herzen für diese Geschenke und Deine Begegnungen, wenn ich sie am meisten brauche.
Ihr, die ihr mich liebt,
seht nicht auf das Leben,
das beendet ist,
sondern auf das,
welches ich beginne.
(Augustinus)